Buchrezension „Bevölkerung und Staat in Lan Na“ und „Kleine Geschichte Thailands“
von Hans Michael Hensel„Heute setze ich die im Oktober mit Engelbert Kempfer (1651–1716) begonnene Reihe historischer und moderner Asienforscher fort.
Dr. Volker Grabowsky, Jahrgang 1959, Professor für Thaiistik, ist seit drei Jahren Leiter der Abteilung für Sprachen und Kulturen Südostasiens am Asien-Afrika- Instiut der Universität Hamburg.
Sein Spezialgebiet ist die Geschichte und Kultur der Thais, wobei mit diesem Begriff alle Thai-Völker in ganz Südostasien sowie in Südwestchina bis Hainan gemeint sind. In seiner wissenschaftlichen Biographie sticht vor allem die Zeit von September 1996 bis August 1999 ins Auge, als er im Auftrag des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) als Gastdozent an der Abteilung für Laotische Sprache und Literatur der Nationalen Universität von Laos in Vientiane arbeitete. Er nutzte seine Zeit gut. Ich habe selten ein Buch über Thailand mit mehr Gewinn gelesen als Grabowskys „Bevölkerung und Staat in Lan Na“.
Hinter dem spröden Titel verbirgt sich ein „herrliches Buch“, wie der Rezensent B. Rehbein ganz zurecht im Internationalen Asienforum (Ausgabe 2/2006) schrieb. Zwar gelte das wahrscheinlich nicht für den Normalleser, aber für jeden, der ernsthaft an Südostasien interessiert sei. Nicht nur für Rehbein steht Grabowsky in der gerade aussterbenden Tradition der Orientalisten vom Schlage eines George Coedes, oder, wie ich schon aus Patriotismus hinzufüge, eines Oskar Frankfurter, die man heute mit der Lupe suchen muß.
Grabowsky hat für dieses Werk hunderte, auch Experten bisher überwiegend nicht oder wenig bekannte Manuskripte aus zum Teil entlegenen Quellen in Thailand und Laos durchforscht. Viele davon (und zudem viele weitere Publikationenin Thai und Lao) macht er in diesem Werk erstmals einem deutschsprachigem Publikum zugänglich. Nebenbei räumt er mit verbreiteten Irrtümern und geschichtlichen Falschdarstellungen gründlich auf. Es entsteht ein Bild von Thailands Norden und von Laos, in dem die Bevölkerung von ihren jeweiligen Herrschern jahrhundertelang als Verfügungsmasse angesehen wurde, die zu funktionieren und an jedem Platz im Einflußbereich der Herrscher einsetzbar zu sein hatte, jenachdem, was die Oberen mit ihren „Kolonien“ gerade im Sinn hatten. Dazu gibt es ein interessantes Dokument, das Grabowsky auf Seite 197 zitiert.
König Chulalongkon, der nach offizieller Darstellung die Bildung der Thais verdienstreich förderte, tatsächlich aber nur seine Söhne zum Studium ins Ausland schickte, schrieb am 12. Juli 1883 an den Hochkommisar von Chiang Mai, daß er Chiang Mai „nicht als eigentlichen Bestandteil unseres Königreiches“ ansehe.
„Wir möchten lediglich die wirkliche Macht ausüben. […] die Lao [sic] sollen wie eine Maschine arbeiten, die wir ganz nach Belieben vorwärts und rückwärts drehen können. […] Das muß aber unbedingt stärker mit Verstand und Klugheit als mit Macht und Gewalt geschehen. Laß die Lao [sic] nicht erkennen, daß man sie knechtet und unterdrückt.“
Und ähnlich wie auch durch Forschungen seines Kollegen B. J. Terwiel (siehe „Wer Ayutthaya wirklich zerstörte“ in der zweiten Juli-Ausgabe) erscheinen etwa die Birmanen aufgrund der vorgelegten Dokumente in einem etwas anderen Licht als in der üblichen Darstellung. In Thailand läßt man am „Erzfeind“ Birma bekanntlich selten ein gutes Haar. Bei Grabowsky ist dagegen auf Seite 151 f. die Rede davon, daß der Herrscher Bayin-naung im 16. Jahrhundert großen Respekt vor der Kultur seiner Vasallenstaaten – wie etwa Lan Na (Chiang Mai), aber auch dem Mon Reich – hatte. Grabowsky belegt: „Den Beamten war streng untersagt, die Bevölkerung zu schweren und überzogenen Frondiensten zu verpflichten. Sie wurden ermahnt, auf keinen Fall das Hab und Gut der Menschen […] zu konfiszieren. […]
Die Birmanen ließen in den von ihnen beherrschten Vasallenstaaten die dortigen Machstrukturen im wesentlichen intakt.“
Das Buch wimmelt vor überraschenden Einsichten dieser Art. Wie gesagt, es handelt sich um einen Augenöffner, den man gar nicht genug empfehlen kann. – Für Thailand-Anfänger ohne Vorkenntnisse ist dagegen Grabowskys „Kleine Geschichte Thailands“ die erste Wahl. Für Thailand-Anfänger alles Wesentliche über die Geschichte des Landes in einem Taschenbuch leicht verständlich zusammengefaßt:
Volker Grabowsky: Kleine Geschichte Thailands. München: C.H. Beck
Erschienen ist die Rezension in TIP Zeitung für Thailand, 15. Jahrgang, 5. Dezember 2011 (= Erste Dezember-Ausgabe), Seite 38. Kleine Geschichte Thailands